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Mit der SP zur Mitte? Der Griff nach einer Fata Morgana

Was wir von SPD, französischen Sozialist_innen, New Labour und Bill Clinton lernen können

Geschrieben mit Julia Baumgartner

“Für alle statt für wenige” – Der Slogan der SP wird oftmals falsch verstanden; auch von Genoss_innen. Erneut kommt nun der Glaube auf, mit einer Verwässerung unserer Inhalte könnten wir mehrheitsfähig sein. Unter dem Deckmantel der “Wählbarkeit” scheuen sich einige Genoss_innen überhaupt nicht davor, Grundsätze der sozialdemokratischen Bewegung in Frage zu stellen und zu “hintergehen”. Jede Bewegung in die Mitte aber ist genau ein Verrat am Ausspruch “für alle”, denn Mittepolitik führt unweigerlich dazu, dass Menschen zurückgelassen werden.

Sozialdemokratische Mittepolitik

Mit einer orientierungslosen Politik werden wir als sozialdemokratische Bewegung nie erfolgreich. Dies zeigen uns auch die Verhältnisse in anderen Ländern. Während in Deutschland die Rot-Grüne Regierung unter Gerhard Schröder erreicht hat, dass die Forderung der Grünen nach einer Vermögenssteuer als Linksrutsch(!) der Partei angesehen wird und die SPD von 40 auf 25 Wähler_innenprozente abgestürzt ist, sieht die Bilanz der Mittepolitik von Hollande in Frankreich noch desaströser aus: Der französische Präsident kommt in Umfragen nur noch knapp über 10% der Stimmen hinaus, während Marine Le Pen vom rechtsextremen Front National wohl in die Stichwahl ums Präsident_innenamt einziehen dürfte.

Noch schlimmer als das wahltaktische Versagen des “Dritten Wegs” sind die konkreten Auswirkungen dieser Politik auf die Menschen. Weiterhin über 10% Arbeitslosigkeit in Frankreich, hunderttausende “Aufstocker” in Deutschland, die von ihrem Lohn nicht leben können. Ist das die Vision des liberalen Flügels der Sozialdemokratie?

Die Illusion der politischen Mitte

Kleine Verbesserungen im Rahmen unseres Systems zu finden und dafür Mehrheiten zu schaffen: Das ist vielleicht Aufgabe unserer Parlamentarier_innen; es darf aber auf keinen Fall Stil unserer parteipolitischen Arbeit sein. Nein, unsere Positionen als sozialdemokratische Partei müssen darüber hinausgehen, müssen auch Antworten auf die grossen Fragen geben. Denn nur mit einer klaren politischen Linie sind wir für die Bevölkerung fassbar.

Wollen wir uns nun auch noch bei den Mächtigen mit der Übernahme ihres Programms anbiedern, fühlt sich unsere ursprüngliche Zielgruppe nicht ernst genommen und wendet sich als Folge davon ab. Die Mitteparteien und die bürgerliche Rechte in der Schweiz sind seit jeher tonangebend in der Politik und blockieren nicht grundlos praktisch jeden Fortschritt. Wer so stark Teil der wirtschaftlichen und militärischen Elite des Landes ist, sieht jede Veränderung als Bedrohung der eigenen Position.

Geben wir unseren Kampf gegen die Privilegierten in diesem System auf, nur um kompromissbereit zu wirken, werden wir unglaubwürdig. Starten wir mit dem Kompromiss in die Verhandlung, haben wir sie bereits verloren. Die politische Mitte ist eine Fata Morgana: Je näher wir ihr von links kommen, desto weiter weg von unseren Idealen ist sie.

Der amerikanische neoliberale Milton Friedman erkannte messerscharf, dass beim Auftritt einer (ökonomischen oder politischen) Krise die ergriffenen Massnahmen davon abhängen, welche Ideen einsatzbereit herumliegen. Seit bald 10 Jahren befindet sich die Welt nun in einer solchen Krise. Und Friedman scheint recht zu behalten: Während die Linke seit den 90er-Jahren mit Blair, Schröder und Clinton die eigenen Ideen zugunsten des neoliberalen Establishments über Bord geworfen hat, nutzt die Rechte die Gunst der Stunde. Statt über einen Umbau der 2008 gescheiterten Wirtschaftsordnung zu diskutieren, stehen nun Menschen auf der Flucht und Migrant_innen am politischen Pranger, während die Linke in der Diskussion abseits steht und zusehen darf, wie sich der Konsens der politischen Mitte irgendwo zwischen liberalkonservativen und rechtsextremen Parteien einpendelt.

Wirtschaftsdemokratie als Vision

Gefragt sind nun politische Ideen, Inhalte anstelle von vagen Beschreibungen auf einer nicht fassbaren politischen Landkarte. Als Partei haben wir die Aufgabe, radikale Visionen und Ideen zu entwickeln, um damit die Probleme unserer Gesellschaft zu lösen. Mit diesen Ideen bieten wir den Mitgliedern und Amtsträger_innen eine unverzichtbare Orientierung für ihr politisches Engagement. An diesem Anspruch muss jeder parteiinterne Vorschlag gemessen werden.

Heute wird am Parteitag der SP Schweiz über das Papier zur Wirtschaftsdemokratie diskutiert. Dabei handelt es sich keineswegs um elitäres Geschwätz, sondern es wird direkt bei der einfachen Bevölkerung angesetzt – bei mehr Mitbestimmung am Arbeitsplatz und sozialem und nachhaltigem Wirtschaften, bei welchem nicht der Profit sondern der Mensch im Zentrum steht. Will man als Sozialdemokrat_in gegen diesen Grundsatz argumentieren, reicht ein blosser Verweis auf die Breite der sozialdemokratischen Bewegung nicht. So wäre doch zu hoffen, dass zumindest die Forderung nach einer Wirtschaft im Interesse der ganzen Bevölkerung uns Genoss_innen eint!